Es ist nicht leicht über seine Oldies, wie ich sie nenne, zu sprechen. Denn das würde alleine schon viele Seiten füllen. Nun denn.
Oft wird gesagt: Die Nuss fällt nicht weit vom Stamm. Nur die hohle Nuss fliegt weiter. So scheint es auch bei mir zu sein, denn aus meinem Elternhaus bin ich ziemlich früh mit 19 in eine kleine aber eigene Einzimmerwohnung geflüchtet. Da wären wir schon beim Thema: Geflüchtet. Ja, mein alter Herr ist ein Kind der Krieggeneration. Geflüchtet aus Ostpreussen im kalten Winter 1944/45 vor der Nazipropaganda, dass die bösen und brutalen Russen auf dem Vormarsch sind und an den Deutschen kein gutes Haar lassen. Dabei kam nur die Rote Armee, und die hatte bereits neue Befehle bekommen. Aber das wusste der damals 10jährige kleine Junge nicht und floh mit seiner Mama "heim ins Reich", was ihm nicht gut bekam, denn erfrorene Zehen sahen auch für mich komisch aus und seine frühzeitig ergrauten Haaren, lassen sehr wohl an der Propagande zweifeln. Angekommen in Berlin ging es in ein Verteilzentrum, was eher ein Lager war. Sie mussten nicht lange warten, denn schon bald wurden sie nach Lockwitz in ein freistehendes Wohnhaus auf der Höhe eingeteilt. Also ging es wieder auf die Socken. Das sie nach Lockwitz kamen, war mein späteres Glück, denn meine Oma, die Mama meines alten Herrens, konnte in der hiesigen Saftkelterei arbeiten und bescherrte uns bis zu ihren Tode ein jährliches Kontigent an frisch gepressten, klaren Apfelsaft und manchmal auch Erdbeersaft. Auch wenn mein alter Herr nach einer Maschinenschlosserausbildung zum Neulehrer umschulte war er kein Kind der Traurigkeit. Er hat auch Fenster mit einem Fussball zerschossen, Fahrräder geschrottet und anderen Schabernack getrieben. So hat er aus überzeugten jugendlichen Leichtsinns in den 1950er Jahren für die KPD Flugblätter und anderes Material von der einen Seite Deutschlands zur anderen Seite deutscher Landen nach Wuppertal geschmuggelt. Woher ich das weiss? Das hat alles meine Oma mir erzählt, denn mein alter Herr selbst wollte nie über seine Kindheit reden, bzw. sollten wir Kinder alles besser und nicht nach machen. Nur das mit den Flugblättern hat er bei mir später gut gefunden. Dazu jedoch ein anderes Mal mehr. Informationen aus erster Hand von ihm bekam ich nur aus einem Erwachsenenleben. So war er passionierter Bergkletterer und ehrenamtlich beim Bergrettungsdienst und im Bergsteigerchor. Warum ich Höhenangst habe, weiss ich bis heute nicht. Dann hat er in Schiebock Fussball gespielt. Leider konnte er keine Profikarriere hinlegen, da ohne seine Brille mit den Flaschengalsgläsern er praktisch blind war. Die Brille hatte er als Jugendlicher bekommen, nachdem er nach mehreren Operationen seine Netzhaut hergab. Und er begeisterte sich für Sprachen, denn er wollte in die weite Welt hinaus. Das ging jedoch nur über Sprachen lernen. Egal welche, Hauptsache die Welt sehen. Das Angebot in den 1960er Jahren als Aufbau- und Entwicklungshelfer nach Ägypten zu gehen, hat aber nicht die Sprache Arabisch verhindert, sondern meine Mama, die gemeint hat: "Entweder Nordafrika oder ich." Er hat sich zum Glück für sie entschieden. Wer weiss, wie ich ausgesehen hätte mit einer anderen Mama. Insgeheim war er, glaube ich, froh, nicht arabisch zu lernen. Jahre später jedoch gab es dann für ihn keine halten mehr. Da hatte er alles bereits in Sack und Tüten: Kind und Kegel sozusagen. Das konnte ihn keiner mehr nehmen. Daher nahm er 1978 das Angebot an, als Alphabetisator in die Berge von Nicaragua, an der Grenze zu El Salvador und Honduras zu gehen. Dort sollte er armen Bergbauerkinder das Lesen und Schreiben beibringen. Das klappte wohl sehr gut, denn bis 1988 sah ich ihn nur noch an Weihnachten. Aber nicht das ihr denkt, wir hätten ihn besucht. Nein, er kam aus dem NSW-Nicaragua zu uns nach Hause. Erst Jahre später bin ich mit ihm gemeinsam dort hingefahren, wo er alleine unter fremden Freunden gewesen war. So, dass soll es erst einmal gewesen sein. Denn im weiteren Verlauf meines hohlen Lebens wird es bestimmt noch die ein oder andere Anekdote geben.
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Sind für euch Namen auch Schall und Rauch? Für mich in vielen Fällen schon. Vorallem, wenn ich gefragt werde, warum mich meine Eltern Hohle Nuss genannt haben.
Mensch! Das weiss ich doch nicht. Fragt sie selbst. Denkt ihr mein Name gefällt mir auf Anhieb? Nee, tut er nicht. Bis heute tu ich mich schwer damit. Vorallem seitdem er ein Schlagwort geworden ist, so nach dem Motto: "Hihihi, hohle Nuss. Wie die Nuss beim knacken, wenn sie faul ist. Hihihi." Und dann zeigt man mit dem Finger auf mich. Blöd so was. Ich weiss jedenfalls nur soviel, dass meine Mama mal einen Jungen kannte, der eine hohle Nuss war, den aber doch alle gern hatten, deshalb hat sie mich so genannt. Aber warum sie es durchgezogen hat, weiss ich nicht. Ich würde auch lieber einen Namen mit einer andere Bedeutung haben, wie zum Beispiel: Reicher Königssohn, oder Volkes Heimat, oder tapferer, starker Bär. Aber nee, ich bleibe auf ewig Hohle Nuss. Jetzt ist es raus. Ja, in jeder Familie gibt es Geheimnisse. So war ich bereits im zarten Alter eines Embryo ein Scheidungskind. Ein Scheidungsenkelkind.
Ihr wisst nicht was das sein soll? Das ist doch ganz einfach: Bevor ich auf die Welt kommen konnte, brauchte es meine Eltern für ... na, ihr wisst schon. Das mit den Bienen und Blumen, oder so ähnlich. Also, und damit es meine Eltern geben konnte, brauchte es wiederum Eltern. Nämlich ihre Mamas und Papas, meine Grosseltern. Und die waren alle geschieden. Könnt ihr euch das vorstellen? Alle geschieden. Was waren das für Sitten damals? Die haben sich einfach scheiden lassen können. Na gut, vor die Partei musste der Vater meiner Mutter schon antreten. Erst musste er sich jeweils die Erlaubnis von der brauen Partei zur Hochzeit und dann von der rote Partei zur Scheidung einholen. Hauptsache er hatte das richtige Parteibuch aus seiner Tasche vorlegen können. Aber Opa war nicht farbenblind und hat nichts verwechselt. Das hätte in seinem Beruf als Elektriker auch in die Augen gehen können, wenn er falsche bunte Drähte miteinander verlötet hätte. Ja, die Grosseltern sind schon eine Last und dann sind sie auch noch geschieden. Nun wirklich, das geht doch nicht. Was soll ich sagen? Die Eltern meiner Mutter lebten vor ihrer Scheidung auf dem Lande, bis mein Opa in den Krieg zog. Was er dort machte? Das bleibt bis heute und in alle Ewigkeit ein Rästel, denn geredet hat er nie über seine Zeit an der Ost- & Westfront. Nur später gefunden Fotos lassen etwas erahnen ... Nach dem Krieg hörte der Krieg nicht auf, sondern wurde zu Hause fortgesetzt, bis mein Opa mit meiner Mutter vom Land an den Rand der Stadt zog. Aber auch dann wurde es nicht ruhiger. Das ist jedoch eine andere Geschichte. Die Eltern meines Vaters haben gar nicht erst den Anfang des Krieges abgewartet, sondern haben sich schon vorher scheiden lassen, damit der Vater meines Vaters als politisch Inhaftierter Minenläufer in Griechenland werden konnte. Eine Postkarte hat meine Oma von dort nie erhalten. Auch kam er nicht mehr zurück. Warum auch? Sie waren ja schon geschieden. So kann ich auch kein Bild vom Vater meines Vaters in den Händen halten. Nichts, denn das wenige was sie hatten, ist dann später auf der Flucht aus Ostpreussen vor der Roten Arme verloren gegangen. Aber so unterschiedlich die Leben von ihnen waren, haben sie eines gemeinsam: mich Scheidungsenkelkind. Ach ja, was komisch ist, denn ohne die Scheidungen hätte ich meinen Lieblingsopa, den Opa Luga, nicht kennen gelernt. Er war der neue Lebenspartner der Mutter meiner Mutter und voll lieb. Aber auf die Schwester von ihm hätten wir alle gern verzichtet. So wie mein Vater alles auf der Flucht verlor, hat meine Mutter alles an die Schwester von Opa Luga verloren. Jedoch, das ist auch eine andere Geschichte. Jetzt war es endlich soweit oder anders gesagt: Es war Sommer und ich lag auf dem Bett, welches mein Urgroßvater, der Tischler war, für meine Eltern selbst gebaut hatte. Er schenkte es ihnen zum Einzug in die neue Wohnung. Als Lohn konnte er mich mit seinen drei kompletten und zwei fehlerhaften Fingern der rechten Hand am Bauch kitzeln.
Ja, da lag ich nun in der neuen Wohnung, in einer neuen Welt, die mir sehr kühl und leer vor kam. Das lag vielleicht daran, dass die Wohnung selbst noch nicht richtig eingerichtet war. Es fehlten Tisch und Stühle, Bett und Spielzeug und noch anderes musste beschafft werden. Zum Glück gab es Einbauschränke, die bereits gut gefüllt waren. Fliessend warmes Wasser gab es aus dem Hahn. Sogar einen Gasherd zum Kochen, und Fernheizung hatte die Wohnung. Also kein Holzoffen mehr anheizen, wenn meine Windeln ausgekocht werden sollten oder meine Milch warm gemacht werden musste. Kein Ruß und Rauch mehr einatmen, wenn der Ofen gesäubert wurde und ich vor der Ofenklappe auf dem Boden lag. Daher vielleicht meine Abneigung, später gar nicht erst mit dem Rauchen anzufangen. Ja, nun lag ich so vor mich hin, während mein Vater in die Schule ging. Nein, nein! Er musste nicht nachsitzen. Er war nur Lehrer. Leider. Aber dazu später mehr, denn dafür musste meine Mutter, die eine Auszeit für ihre Kinder von ihrer Arbeit nahm, diese zu Hause nachholen, um uns zu versorgen. Da wir drei mehr oder weniger wilde Jungs waren, gab es viel zu tun. Ach ja, die neue Wohnung sollte ebenfalls fertig eingerichtet, Gardienen aufgehängt und Teppich ausgelegt werden. Viel wurde ich auf das Abstellgleis ins Bett gelegt, wo ich, wie anfangs schon gesagt, in eine leere Welt blickte. Draussen war es grau in grau und lärmig. Das haben Neubaublocks so an sich, meint man landläufig. Aber das lag nur daran, dass der 5-Jahres-Plan erst in den Kinderschuhen steckte und das Neubaugebiet noch lange nicht fertig war. So gab es noch keine Bäume, die Wiese war ein Schlammfeld, der Wäscheplatz noch nicht zu erkennen und die Straßen und Fusswege nur durch Baumarkierungen sichtbar. Hauptsache alle Wohnungen waren vergeben und somit ihre Bewohner*innen, ob glücklich oder nicht, zumindest zufrieden gestellt, damit niemand mehr auf die Straße gehen oder dort übernachten musste. Was soll ich sagen? Mir war das doch damals alles so was von egal, denn alles ist viel, wenn man nichts hat. Ich kam mit nichts auf die Welt und lag in einem kuschligen Bett. Das es nicht meins war, erfuhr ich erst viele Jahre später, als es ohne meine Einwilligung gegen ein Neues ausgetauscht wurde. Nur da war es mir wiederum so was von egal, weil es vieles andere gab, was mich interessierte. Heute ärgert es mich, dass ich Urgroßvaters Wertarbeit nicht besser geschätzt habe. Aber hätte ich es selbst behalten sollen? Wohl kaum, denn es war doch ein Geschenk an meine Eltern und nicht für mich. Und weiterschenken geht gar nicht. Ihr habt euch vielleicht schon gefragt, warum ich eine solch platte Nase habe. Dazu kann ich euch eine kleine Anekdote berichten: Ich bin seither ein Bauchschläfer und am liebsten, so wurde gemunkelt, soll ich mit meinem Gesicht und mit meiner Nase tief ins Kopfkissen vergraben geschlafen haben. Das sorgte sogar bei Ausflügen mit dem Kinderwagen bei einigen Passanten älteren Datums für Unverständnis, so dass sie sich genötigt sahen, meine Oma oder meine Mama darauf anszusprechen, dass ich doch ersticken würde. Ob sie das wohl wöllten? Ja, schon damals musste meine Familie viele schräge Blicke erdulden und wegen mir Diskussionen über sich ergehen lassen. Das hat sich auch später nie geändert. |
Autor: Olaf Kah
In Dresden geboren, aufgewachsen, studiert, gearbeitet. Über Berlin in die weite Welt gezogen, wohnt er heute in der Nähe von Basel. Archiv
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